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Von Dirk Heißerer
„Nichts gleicht meinem Glücke“
Vier Worte Thomas Manns
Aus gedruckten Manuskripten zusammengestellt für das Licht-Objekt ECLIPSE (Nichts gleicht meinem Glücke) von Philipp Lachenmann im Haus Dibelius, München, Thomas-Mann-Allee 10
Die vier Worte sind der autobiographischen Skizze „Im Spiegel“ entnommen. Sie wurden geschrieben im Herbst 1907 in der ersten Familienwohnung des Ehepaars Katja Pringsheim und Thomas Mann in München an der Franz-Joseph-Straße 2/III (heute Neubau, Gedenktafel des Thomas-Mann-Förderkreises München e.V. seit 2000). Thomas Mann, der einstige Edel-Bohèmien in Schwabing, war seit dem 11. Februar 1905 mit der Millionärstochter Katja Pringsheim vom Münchener Königsplatz verheiratet und hatte mit ihr zum Zeitpunkt der Skizze die beiden ersten Kinder Erika (1905) und Klaus (1906). Der Text erschien erstmals unter dem Sammeltitel „Autobiographische Skizzen. XXVI“ [richtig: XXVII] in Das literarische Echo am 15. Dezember 1907 (Jg. 10, H. 6, Sp. 395-397, Potempa G 33.1). Den Titel „’Im Spiegel’” verwendet Thomas Mann erstmals in seinem Sammelband Rede und Antwort (Berlin 1922, S. 383-387, Abdruck später auch in GW XI, S. 329-333 und neuerdings in der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe (GKFA), Bd. 14.1, S. 181-184).
Das Manuskript der Skizze ist nicht erhalten. Die ausgewählte Stelle ist bislang in der Thomas-Mann-Forschung nicht ‚offiziell’ erläutert worden; der Kommentarband 14.2. der GKFA (2002) gibt dazu keine Angaben. In seinem Buch Im Zaubergarten. Thomas Mann in Bayern (München 2005, S. 127) erhellt Dirk Heißerer erstmals den Zitatcharakter der Stelle:
„Wunderbar selbstironisch hat Thomas Mann seine neue großbürgerliche Situation in einer kleinen biographischen Skizze vom Dezember 1907 für das Berliner Literarische Echo auf den Punkt gebracht. Auf die selbstgestellte Frage, ob ihn sein künstlerischer Werdegang, wie zu vermuten und vorhersehbar in die ‚Anarchistenkneipe’ oder gar in die ‚Gosse’ geführt habe, antwortet der 32-jährige mit einer Rheingold-Paraphrase: ‚Nein. Glanz umgibt mich. Nichts gleicht meinem Glücke.’ Zu seiner schönen jungen Frau ‚eine Prinzessin von einer Frau’ habe er als Schwiegervater einen königlichen Universitätsprofessor, zwei aufgeweckte Kinder, eine komfortable Wohnung, Einladungen in schöngeistige Gesellschaften in nah und fern und morgen bekomme er womöglich noch einen Orden!“
Thomas Mann spiegelt sich hier in einer lange Zeit nicht erkannten Wagner-Paraphrase. Es geht um Richard Wagners Oper Das Rheingold (1869), dem „Vorabend“ des vierteiligen Ring des Nibelungen. In der vierten und letzten Szene hat Wotan den Riesen Fafner und Fasolt den geforderten Ring zugeworfen und erlebt sodann, wie Fafner den Fasolt um des Ringes willen erschlägt; der Fluch des Zwerges Alberich geht erstmals in Erfüllung. Als Wotan daher singt „Furchtbar nun / erfind’ ich des Fluches Kraft!“ antwortet ihm Loge: „Was gleicht, Wotan, / wohl deinem Glücke? / Viel erwarb dir / des Ringes Gewinn; / dass er nun dir genommen, / nützt dir noch mehr: / deine Feinde sieh! / fällen sich selbst / um das Gold, das du vergabst.“
Die vier Worte „Nichts gleicht meinem Glücke“ konnten in einem frühen Manuskript Thomas Manns ausfindig gemacht werden, das erhalten ist und als Faksimile veröffentlicht wurde. Es ist die für Thomas Mann persönlich sehr wichtige Schiller-Novelle „Schwere Stunde“ vom Mai 1905 (Erstdruck im Simplicissimus, Sondernummer „Schiller“, 9. Mai 1905, Faksimile der Handschrift, 9. Bl., 9. S., Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar, 1975), die auch zeitlich nahe an der autobiographischen Skizze liegt.
„Nichts“: In: „Schwere Stunde“ (1905), Ms. S. 7, aus der Selbstreflexion Schillers: „Wer schuf, wie er, aus dem Nichts, aus der eigenen Brust?“ (GW, VIII, S. 378, Z. 3).
„gleicht“: In: „Schwere Stunde“ (1905), Ms. S. 7
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